Gericht: Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht

Er war immer gegen ein Vegetieren an Maschinen. Doch seine gläubigen Eltern wollten ihn nicht sterben lassen. Nun hat der Menschenrechtsgerichtshof im Fall des französischen Komapatienten ein wegweisendes Urteil gefällt: Der Patientenwille steht über allem, das Recht auf Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht.

Herbst 2008. Der 31-jährige Vincent Lambert verunfallt mit dem Motorrad. Schwerste Kopfverletzungen, Querschnittslähmung, irreversible Hirnschäden. Zeitlebens hatte er geäussert, nie an Schläuchen hängen zu wollen und von Maschinen am "Leben" erhalten zu werden. Doch Lambert befindet sich in einem Wachkoma. Die Augen sind offen,  manchmal zuckt etwas.

Nachdem Lambert beginnt, sich mit kleinsten Zeichen gegen Pflege und Behandlung zu sträuben, bittet seine Frau Rachel die Ärzte, die Behandlung abzubrechen und ihn sterben zu lassen. Sechs von Lamberts acht Geschwistern stimmen zu.

Doch die stockkatholischen Eltern und zwei Geschwister wollen ihn nicht gehen lassen.

Da Lambert nie in einer Patientenverfügung festgelegt hat, was in so einem Fall zu tun wäre und wer seine Vertretungsperson ist, wurde sein Schicksal zum Gerichtsfall – und zur gesellschaftlichen Debatte. Katholische Kreise hatten den Fall übernommen in ihrem Kampf gegen das Selbstbestimmungsrecht am Lebensende. Obwohl die französischen Gerichte entschieden, dass Lamberts mündlich geäusserter Wille zu respektieren sei und er sterben gelassen werden dürfe, wurde bis vor Europas oberstes Gericht geklagt, den Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg.

Nach Ansicht der katholischen Kreise ist Lambert "behindert" und nicht Komapatient. Die künstliche Ernährung sei deswegen keine medizinische Behandlung, sondern nur Pflege. Ein Stopp der lebensverlängernden Massnahmen sei daher (die in Frankreich verbotene) "Euthanasie".

Der Menschenrechtsgerichtshof sieht es ganz anders. Er hat seine frühere Haltung bekräftigt, dass der mutmassliche Patientenwille über allem stehe und hat einmal mehr bestätigt: Das Recht auf Selbstbestimmung ist auch und gerade am Lebensende ein Menschenrecht.

Das Urteil ist endgültig, eine Berufung dagegen nicht möglich.

Sein Sterben wird dennoch kein einfaches werden. Schon einmal ist die Behandlung eingestellt worden. Bis eine einstweilige Verfügung die Wiederaufnahme anordnete, wurde die künstliche Nahrungszufuhr für 31 Tage eingestellt, gestorben ist Lambert nicht daran. 

Für die Rechtslage in der Schweiz wird das Urteil dann interessant, wenn das nächste Mal ein Bürger klagt, weil das Recht auf Beendigung des eigenen Lebens nicht praktikabel ausgestaltet ist und ein würdiges Sterbemedikament verweigert wird. (BS)

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