FMH-Nein: Für Ärzte und Patienten ändert sich nichts

Die Ärzteverbindung FMH hat Nein gesagt zu den neuen Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod» der Medizin-Akademie. EXIT nimmt Stellung zu falschen Informationen aus ärztlichen Kreisen in der öffentlichen Debatte und zeigt auf, was der FMH-Entscheid für die Praxis der Suizidhilfe bedeutet.

Kurz nachdem die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) im Mai die revidierten Richtlinien in Kraft gesetzt hatte, gingen die Emotionen hoch. Dies überraschte, wurden die Empfehlungen doch von anerkannten Experten erarbeitet und im anschliessenden Vernehmlassungsprozess mit grossem Mehr begrüsst. Die Empörung der Kritiker vor allem aus Kreisen der Ärztefunktionäre entzündete sich am Kapitel «Suizidhilfe». Kernpunkt der Kritik war, dass nicht mehr das «nahe Lebensende» des Patienten als eine der Bedingungen für Suizidhilfe stehen soll, sondern neu das Kriterium des «subjektiv unerträglichen Leidens» die Ärzte zur Ausstellung des Rezepts für das Sterbemedikament berechtigen solle.

In der Kontroverse schreckten die ärztlichen Gegner, die sogar eine bekannte PR-Firma engagierten, auch nicht vor etlichen falschen Behauptungen zurück. Die krasseste:

  • Der Geltungsbereich werde neu auch auf Behandlung von Kindern und Jugendlichen ausgeweitet sowie auf Patienten mit geistiger, psychischer oder Mehrfachbehinderung, welche neu Sterbehilfe in Anspruch nehmen könnten.

Diese Aussage, die verständlicherweise zu entsetzten Reaktionen in Leserbriefspalten führte, ist falsch. Richtig ist:

  • Die Richtlinien regeln im Grundsatz die Palliativmedizin, und diese kommt selbstverständlich bei den drei genannten Gruppen zur Anwendung. Suizidhilfe dagegen kommt nur für urteilsfähige Menschen in Frage, was Kinder und Patienten mit geistiger Behinderung ausschliesst.

Suizidale Krise mit unheilbaren Krankheiten vermischt

Ebenfalls wurde moniert, das Kriterium «unerträgliches Leiden» sei so dehnbar, dass ein Arzt die Suizidhilfe kaum verweigern könnte. Und: In der Diskussion wurde immer wieder der Sterbewunsch in einer akuten suizidalen Krise mit jenem bei unheilbaren Krankheiten oder unerträglichem chronischem Leiden vermischt. Tatsache ist:

  • Ärzte und EXIT leisten nur dann Suizidhilfe, wenn ein Sterbewunsch auf dem wohl erwogenen, dauerhaften und die Gesamtsituation bilanzierenden Entscheid des Betroffenen beruht. In der akuten suizidalen Krise aufgrund einer schwierigen Lebenssituation oder einer akuten Depression war und ist Hilfe zum Leben – und nicht Hilfe zum Suizid – die einzige richtige und legale Antwort.

Die Ärztekammer des Berufsverbands der Schweizer Ärzte (FMH) hat nun entschieden, die neuen Richtlinien zur Suizidhilfe nicht in ihre Standesordnung aufzunehmen. Das FMH-Parlament war sich mit klarem Mehr einig, dass diese Leitlinien für Ärzte zu «Unsicherheit» führen würden. Eine Standesordnung müsse sich nach «objektiv überprüfbaren Kriterien» richten, so die Meinung.

EXIT bedauert diesen Entscheid. Denn die Richtlinien legen die Suizidhilfe – wie bisher – als freiwillige ärztliche Tätigkeit fest. Mit anderen Worten besteht keine ärztliche Pflicht zur Suizidhilfe: Ein Arzt kann, aber er muss nicht helfen. Falls er sich dafür entscheidet, bieten die Richtlinien sinnvolle Empfehlungen zum Vorgehen. Falls er sich dagegen entscheidet, kommt er nicht unter Druck des Patienten, da Sterbehilfeorganisation wie bisher ihre Konsiliarärzte beiziehen.

Die FMH-Ärztekammer hat es mit ihrem Entscheid verpasst, einen Paradigmawechsel zu vollziehen: weg vom paternalistischen Erlauben der Ärzte hin zum empathischen Gespräch und zur Respektierung der Autonomie des Patienten. Deshalb: Falls ein Arzt die Unerträglichkeit eines Leidens oder der Folgen funktioneller Einschränkungen nachvollziehen und Suizidhilfe generell mit seinem ärztlichen Ethos vereinbaren kann, so gibt es keinen rationalen Grund, dem Arzt Suizidhilfe im Standesrecht zu verbieten!

Wie weiter?

Auch nach dem Nein der FMH-Ärztekammer ist für viele Ärzte in der Schweiz weiterhin klar: Falls ein unerträglich leidender Patient mit dem Wunsch nach Suizidhilfe an sie gelangt, ist es nach wie vor ethisch zulässig und rechtlich erlaubt, ein Rezept für das Sterbemedikament auszustellen. Denn die Schweizer Rechtsprechung lässt ärztliche Suizidhilfe nicht nur am Lebensende, sondern auch bei «subjektiv unerträglichem Leiden» zu. Für Ärzteschaft und Patienten gilt daher: Faktisch ändert sich nichts. (JW)

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