Ärzteorganisationen wollen die Suizidhilfe erschweren

Die Ärzteorganisationen FMH und Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) wollen ihre «Richtlinien» zur Suizidhilfe verschärfen: Für betroffene Menschen sowie die Ärzteschaft sollen neue Hürden entstehen. Werden diese geplanten SAMW-Richtlinien ins Standesrecht der FMH überführt, wird die Unterstützung leidender Sterbewilliger massiv erschwert. Die sechs Schweizer Suizidhilfeorganisationen wehren sich vehement dagegen.

Die SAMW-Richtlinien mit dem Kapitel über die Suizidhilfe sind kein Gesetz; Ärztinnen und Ärzte müssen sich dennoch danach richten, wollen sie keine Sanktionen riskieren. Nun sollen diese Standesregeln massiv verschlechtert werden: Die Spitzen von SAMW und FMH haben in Hinterzimmer-Manier mehrere Neuformulierungen beschlossen, welche von der FMH-Ärztekammer am 19. Mai 2022 abgenickt werden sollen – ohne Einbezug der Schweizer Ärzteschaft durch eine sonst übliche Vernehmlassung und Mitsprachemöglichkeit. Das vertrauliche Papier ist den Selbstbestimmungsorganisationen von verschiedenen Quellen zugespielt worden.

Die wichtigsten Kritikpunkte:

Zwei Wochen Verzögerung:
«….Zur Klärung hat der Arzt mindestens zwei ausführliche Gespräche im Abstand von mindestens zwei Wochen mit dem Patienten zu führen…»

---- Eine solche zeitliche Verzögerung ist für viele Menschen mit raschem Fortschreiten der Krankheit oder starken Schmerzen oder zunehmender Atemnot mit Erstickungsgefühlen schlicht unzumutbar. Viele ersuchen ja gerade erst in den letzten Tagen vor dem Tod, wenn es für sie unaushaltbar wird, um ärztliche Hilfe beim Sterben. Zudem: Zwei ausführliche Arztgespräche im Abstand von zwei Wochen sind sachlich nicht gerechtfertigt und unnötig. So führt die involvierte Begleitperson Gespräche und es liegen ein Diagnoseschreiben sowie ein Rezept für das Sterbemedikament vor.

«Schwerwiegendes» Leiden:
«Die Krankheitssymptome und/oder Funktionseinschränkungen sind schwerwiegend, was durch eine entsprechende Diagnose und Prognose zu substantiieren ist… Der Wunsch des Patienten… ist aufgrund der Vorgeschichte und wiederholter Gespräche nachvollziehbar.»

---- Dass im Gegensatz zur langjährigen ärztlichen Praxis zwingend ein «schwerwiegendes» Leiden vorliegen muss, verunsichert die Ärzte und schränkt die Patientenrechte unzulässig ein. Denn damit würde ein gesetzlich nicht vorgesehenes Kriterium für eine legale Suizidhilfe eingeführt werden. Viele polymorbide und hochbetagte Sterbewillige wollen ganz bewusst eine Freitodbegleitung, weil sie genau wissen, dass die Prognose sehr schlecht und das unerträgliche Leiden nahe ist – sie wollen diesem Leiden wohlüberlegt ausweichen, bevor es zu spät ist. Gar nicht erwähnt werden die psychosozialen Faktoren, unter denen gerade Hochbetagte zusätzlich leiden. Zudem: Allein der mündige Patient kann entscheiden, wie schwer ein Leiden für ihn subjektiv ist. Wie soll ein Arzt entscheiden, ob etwa Inkontinenz oder der Verlust des Augenlichts für einen Patienten nun schwerwiegend ist oder nicht?

Angehörige und Betreuungsteam einbeziehen:
«Im Vorfeld, während und nach der Suizidhilfe ist auf die Bedürfnisse der Angehörigen, aber auch des interprofessionellen Betreuungsteams und des Umfelds Rücksicht zu nehmen und die benötigte Unterstützung ist zu geben und dies ist zu dokumentieren.»

---- Das Recht auf Selbstbestimmung eines sterbewilligen Menschen würde bei einer Einführung ad absurdum geführt, wenn ein Angehöriger mit einer Freitodbegleitung nicht einverstanden ist. Die Forderung ist für einen Arzt praktisch nicht umsetzbar und würde somit eine Suizidhilfe sehr oft verhindern. Nicht nur ist es für den Arzt schlicht unmöglich, alle Angehörigen zu eruieren und zu kontaktieren sowie das Betreuungsteam und das Umfeld einzubeziehen, deren Sorgen und Widerstände zu berücksichtigen und alles zu dokumentieren. Zusätzlich würde er dadurch das Arzt-Patienten-Geheimnis verletzen müssen.

Erwägung von Alternativen:
«Medizinisch indizierte therapeutische Optionen sowie andere Hilfs- und Unterstützungsangebote wurden gesucht, mit dem Patienten abgeklärt und angeboten. Sie sind erfolglos geblieben oder wurden vom diesbezüglich urteilsfähigen Patienten abgelehnt.»

---- Dass Alternativen nicht bloss besprochen, sondern explizit gesucht und angeboten werden müssen, stiftet Verwirrung und verursacht Schwierigkeiten. Denn selbstverständlich hat ein aufgeklärter und urteilsfähiger Patient das Recht, diese Alternativen abzulehnen, ohne dass sie konkret angeboten und auf Erfolg ausprobiert wurden (was wiederum auf eine zeitliche Verzögerung und mehr Leiden hinauslaufen würde).

Altersfreitod/Bilanzsuizid ausschliessen:
«Ethisch nicht vertretbar im Sinne dieser Richtlinien ist Suizidhilfe bei gesunden Personen.»

---- Mit dieser Vorgabe wird der Altersfreitod/Bilanzsuizid kategorisch ausgeschlossen. Diese Haltung steht jedoch im Widerspruch zur Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts. Dieses hat im Dezember 2021 entschieden, dass die Verschreibung des Sterbemittels an eine gesunde Person nach dem Heilmittelgesetz nicht strafbar ist. Ob dies auch für das Betäubungsmittelgesetz zutrifft, muss noch ein Kantonsgericht entscheiden. Grundsätzlich gilt: Nur der leidende Mensch selbst kann beurteilen, ob für ihn sein Leiden unerträglich ist.

Beurteilung aus Sicht der Organisationen:

Die angestrebten Neuformulierungen im Kapitel 6.2.1. verschärfen die ärztlichen Standesregeln auf gesetzlich unzulässige Weise und erschweren die Suizidhilfe massiv:

  • Die Abklärungen beim assistierten Suizid sollen sowohl für den Patienten als auch für den Arzt durch den Einbau neuer, faktisch nicht begründbarer Hürden erschwert werden. Damit wird auch für die Suizidhilfeorganisationen die Unterstützung ihrer Mitglieder beim assistierten Suizid erschwert und oft verunmöglicht.
  • Bereits heute besteht für Ärztinnen und Ärzte keinerlei Verpflichtung, bei der Suizidhilfe mitzuwirken. Die neuen Regelungen würden diejenigen, die dies aus Überzeugung und in Übereinstimmung mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen tun, und deren Patientinnen und Patienten, in der Ausübung ihrer Rechte massiv einschränken und verunsichern. Wer wagt es angesichts dieser Vorgaben noch, Rezepte für das Sterbemedikament auszustellen?
  • Die geplanten Änderungen der Richtlinien unterwandern eine liberale Praxis, die sich in den letzten 40 Jahren bewährt hat; die Selbstbestimmung der betroffenen Menschen und die Wahlfreiheit in der Schweiz drohen eingeschränkt zu werden, da Richter bei der Urteilsfindung diese Richtlinien mitberücksichtigen dürften.

 

 

 

 

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